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Susanna Hertrich spricht im Interview

HP: Damit sind wir beim Forschungsfeld der Kybernetik. Hier kommt alles zusammen, Mensch, Tier, Maschine. Was war für dich als Künstlerin der Auslöser, sich mit der Kybernetik zu beschäftigen?

SH: Die Kybernetik ist für mich ein roter Faden oder eine „Haube“, unter der ich meine verschiedenen Projekte zusammenbringen kann. Ich habe damals nicht mit der Perspektive der Kybernetik begonnen, sondern habe erst viel später gemerkt, dass es dort viele Ansätze gibt, die der Logik in meinen Arbeiten erschreckend genau entsprechen. Insofern ist eine Beschäftigung mit kybernetischen Denkmodellen für mich heute so etwas wie eine Art der Post-Rationalisierung.

HP: Die Annäherung der Künste an die Naturwissenschaft ist kein neues Phänomen. Man denke da nur an Marcel Duchamp, der sein New Yorker Wohnatelier zu einem Art Labor umwandelte, in dem er die optische Wirkung von industriell gefertigten Massenprodukten mit Hilfe der Medien Film und Fotografie ausreizte. Dem Künstler ging es darum, die schnelle Manipulation der menschlichen Wahrnehmung aufzuzeigen. Worum geht es dir, gerade mit Hinblick auf deine aktuelle Installation? Ein optisches Hilfsmittel, eine Art Fernrohr, bildet den Mittelpunkt dieser mehrteiligen Raumsituation.
SH: In dieser Installation geht es um das Sehen, das Betrachten. In dem vermeintlichen Fernrohr erlebt man, dass der eigene Blick zurückblickt, also gespiegelt wird. Aber nicht nur einmal, sondern vielfach. Das kann man auf vielerlei Arten lesen: Zum einen passiert hier so etwas wie ein kybernetischer Feedback-Loop. Zum anderen glaubt der Betrachter hier vielleicht noch, in die Ferne blicken zu können oder etwas Neues zu sehen, findet sich dann aber in der Situation wieder, „nur“ den eigenen Blick zu betrachten.

In der algorithmisch gesteuerten Welt, in der wir uns befinden, passiert ja genau das Gleiche: Wir bekommen nach unseren Interessen gefilterte Werbeanzeigen im Browser zu sehen, Suchergebnisse werden uns angepasst und vermeintlich „intelligente“ KI Systeme spiegeln allzu häufig nur uns selbst wieder und sind vielleicht genau deswegen erfolgreich…

HP: Könntest du noch etwas über das Moment der Zeit in Verbindung zu deiner neuen Arbeit sagen? Ich denke dabei etwa an den poetischen Titel deiner Ausstellung hier im Mannheimer Kunstverein, der auf den Titel einer Vortrages, gehalten von Karl Ernst von Baer im Jahr 1864, zurückgeht.

SH: In dem Vortrag beschreibt Karl Ernst von Baer in epischer Länge, wie subjektiv doch unsere Weltwahrnehmung ist und wie sehr Erleben der Welt von unserer inneren Zeit abhängig ist. Er spielt dort verschiedenen Szenarien durch, in denen der Mensch beispielsweise eine sehr kurze Lebenszeit hätte und wie anders sein Eindruck der Welt dann wäre – oder eben wie das im gegenteiligen Fall aussähe. Dem zugrunde liegt ein „mechanischer Blick“ auf den Menschen, vor der Annahme, dass es die Anzahl der möglichen Sinneseindrücke pro Zeiteinheit sind, die unser Weltbild manifestieren. Es geht hier sozusagen um eine „Menschen-Frequenz“. Später von auf c. a. 18 Hertz (also 18 Bilder pro Sekunde) festgelegt. Das ist eben der Moment, von deman wir Einzelbilder als Bewegungsbild wahrnehmen und genau das ist die Grundlage der Kinematografie und letztlich einer Virtuellen Realität.Die Klanginstallation in dieser Ausstellung, die ich zusammen mit Thomas Weber und mit Hilfe von Iris Drögekamp realisiert habe, heißt dann auch „18 Hz“ und verwendet Zitate aus dem Vortrag von Baers.

HP: Machst du einen Unterschied zwischen deinen wissenschaftlichen Projekten und künstlerischen Arbeiten oder gerade nicht? Womöglich nähert sich die Naturwissenschaft immer mehr den künstlerischen Methoden an, letztere forcieren ja eher den Prozess, das offene Ergebnis, das nicht Belegbare.

SH: Ob sich die Naturwissenschaften künstlerischen Methoden annähern, weiss ich nicht. Dazu kann ich keine Aussage machen, halte das aber für ein eher gewagtes Statement.
Um über meine Arbeit zu sprechen, es gibt keinen Unterschied. Alle meine Arbeiten sind Kunstprojekte. Einige sind aber im Rahmen von Forschungsaufenthalten entstanden und damit erlangen sie noch eine Art „zweite Existenz“. Damit meine ich, dass sie eben auch noch als wissenschaftliche Publikation, zum Beispiel als Konferenzpaper existieren bzw. veröffentlicht wurden. Mit dem Paper oder der Publikation ist dann ein Prozess für die Forschungsinstitution abgeschlossen. Als „Artwork“ existieren diesel- ben Arbeiten aber weiter, zum Beispiel in dieser Ausstellung.

HP: Byung-Chul Han gilt als ein Kritiker unserer digitalen Kultur, die uns täglich mehr und mehr einnimmt. Das Wort digital, so der Hinweis des Philosophen, verweise auf den Finger digitus, der vor allem zählt. Statt um die Zählung gehe es in unserer Geschichte aber um die Erzählung, so Han. Was ich an deinen Arbeiten spannend finde, lass mich das abschließend noch sagen, dass sie der sogenannten digitalen Kultur die Erzählung zurückbringen.

Danke für das Gespräch.

Dieses Interview ist in einem „Reader“ begleitend zur Ausstellung von Susanna Hertrich im Mannheimer Kunstverein erschienen. Die Fragen an Susanna Hertrich stellte Hortense Pisano, Gastkuratorin.