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Susanna Hertrich spricht im Interview

… über die Verbindung ihrer Kunst zur Wissenschaft

Liebe Susanna Hertrich, Du arbeitest als Künstlerin häufig an Forschungsinstitutionen, aus dem naturwissenschaftlichen Bereich, insbesondere der „Computer Science“ oder der Kulturwissenschaft. Für Deine Gastaufenthalte warst du auch schon in China und in Japan. Mich würde interessieren, ob Deine Arbeit, die zwischen Kunst und Forschung changiert, in Japan anders aufgenommen wird, als in Deutschland?

Susanna Hertrich: In den Labs, in denen ich zu Gast war oder auf den wissenschaftlichen Konferenzen, auf denen ich ein Paper präsentiert habe, trifft man auf ein sehr internationales Publikum, egal wo auf der Welt die Veranstaltung tatsächlich stattfindet.

Aber als ich 2009 mit den „Prothesen“-Arbeiten anfing, wurde ich an die Universität Tokio in eine Forschungsgruppe eingeladen, die sich zwischen Computerphilosophie, Medienkunst und Informatik positioniert hat. Das war tatsächlich der perfekte Ort für diese Exploration, denn eine westliche „Computer Science Community“ hat zu diesem Zeitpunkt kaum Interfaces auf der Haut und das Fühlen im Kontext von Computing betrachtet. Auch für künstliche Emotionen haben sich meines Wissens nur die Japaner vor zehn Jahren schon begeistert. Während also solche Ansätze in Europa und vor allem Deutschland eher belächelt worden sind, nahm man das in Japan sehr ernst und fand es spannend.

HP: Wie darf ich mir das vorstellen, wie entwickelst du deine Ideen? Vor einigen Jahren hast du mir beispielsweise in Berlin von einem Filmprojekt erzählt, bei dem es um die Strahlenkatastrophe in Fukushima ging.
SH: Seit einem Stipendium, das ich 1999 von der japanischen Regierung bekommen habe, reise ich immer wieder beruflich in das Land. Daher fühle ich mich mit Japan sehr verbunden. Vor diesem Hintergrund hat mich die doppelte Katastrophe in Fukushima in 2011 stark berührt. Ich habe 2012 während einer Künstlerresidenz in Tokio erleben können, wie stark das Desaster die Leute verändert hat, aber auch wie sehr sie sich von der Welt verlassen fühlten. Das war für mich der Anlass, mich dieser Thematik aus einer künstlerischen Perspektive nähern zu wollen und ich habe seitdem sehr genau verfolgt, was über Fukushima berichtet wurde.

Japan hat eine besonders reiche Kultur an Geistergeschichten. Als einer der Gründe wird vermutet, dass man dort aufgrund der besonderen geografischen Situation schon immer mit Erdbeben, Tsunamis, Vulkanen und anderen „übernatürlich“ erscheinenden Phänomenen umgehen musste. In den vom Tsunami zerstörten Gebieten entlang der Küste haben sich nach der Katastrophe tatsächlich Berichte von Geistererscheinungen gehäuft. Das wird im Allgemeinen mit einer für Japan typischen Internalisierung von Emotionen erklärt. Weil das, was dort passiert ist, zu schrecklich ist, um besprochen zu werden, wird es verdrängt und zeigt sich dann in solchen „Erscheinungen“. Es gibt beispielsweise Berichte von Taxifahrern, die Fahrgäste aufgenommen haben wollen, die zu einer Adresse fahren wollten, wo ein Haus oder eine Straße komplett zerstört wurde. Stellt der Taxifahrer dies fest, sind die Fahrgäste plötzlich verschwunden … Dieser Kontext ist im Zusammenhang mit radioaktiver Kontamination sehr spannend, denn eine solche Bedrohung, die mit den Sinnen nicht erfahrbar ist, also weder sichtbar, fühlbar, hörbar oder riechbar ist, liegt wie ein Spuk auf dem Land.

Für meinen Film habe ich dann auch eine Art „übernatürliche“ Figur geschaffen, die durch die vom Tsunami zerstörten Gebiete streift und deren Helm über ein Leuchten das radioaktive Strahlen anzeigt.

Eine befreundete japanische Künstlerin fand, dass diese Arbeit sie an die Legende des Kamikaze aus dem 13. Jahrhundert. erinnert. Kamikaze bedeute wörtlich „göttlicher Wind“ und beschreibt einen Taifun, der vermeintlich von den Göttern gesandt, die übermächtige Streitmacht der Mongolen von der Eroberung Japans abhielt. Meine Freundin fand, dass die passive Haltung ihrer Landsleute im Angesicht der radioaktiven Umweltverschmutzung sehr viel mit einer Hoffnung auf Rettung „von oben“ zu tun hätte. Meine Figur im Film – vielleicht auch eine Art tragischer Götterkrieger – kann hier auch nicht „erretten“, sondern nur untersuchen.

HP: In deinem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigst du dich, gemeinsam mit dem Medienwissenschaftler Shintaro Miyazaki, mit elektromagnetischen Signalfeldern und einer ganz besonderen Tierart, den sogenannten „Elefantenrüsselfischen“. Wie geht das zusammen?

SH: Die meisten Fische haben einen „elektrischen Sinn“, d. h. sie können elektromagnetische Felder erkennen. Haie zum Beispiel nutzen dies, um Beute zu verfolgen. Die sogenannten schwach elektrischen Fische, zu denen der Elefantenrüsselfisch gehört, können aber noch mehr: Sie „sehen“ ihre Umgebung mithilfe eigens generierter elektro- magnetischer Felder. Dabei umschwimmen sie Objekte in ihrem Terrain, um sich über das Spüren auf der Haut ein Bild von der Umgebung zu machen. In unserem Projekt ist der Elefantenrüsselfisch die Inspiration und der Startpunkt, um über die allgegenwärtigen Informationsinfrastrukturen (Wifi, Handynetze, Bluetooth …) nachzudenken, die unsere aktuelle Lebenswelt prägen. Was wäre, wenn wir auch solche Sinnesfähigkeiten hätten, wie diese Fische? Wie würde unsere Gesellschaft aussehen, wenn wir die Sig- nalfelder um uns herum spüren würden?

In dem Projekt arbeite ich zusammen mit einem Medienhistoriker, der sich natürlich für die Geschichte bestimmter Technologien interessiert (in diesem Reader ist übrigens auch ein Text von Shintaro zu finden). Das heißt, wir blicken im Projekt auch zurück in die 1960er Jahre, eine Zeit, in der die zunächst militärisch genutzten Computertechnologien für den zivilen Bereich weiterentwickelt wurden. Damals gab es verschiedene Ansätze, das menschliche Sensorium mithilfe dieser neuen Möglichkeiten zu erweitern. Das nannte man zunächst „Sensory Subsitution“ und die Idee hierbei war, blinden Personen einen alternativen Sehsinn zu verleihen, in dem man über haptische Reize, Bilder auf die Haut der Probanden „schrieb“. Das ist ganz ähnlich, wie bei den Fischen. Von diesen Ansätzen aus ziehen wir Verbindungen zu einer aktuellen Debatte über „Techno-Spiritualismus“ und den Komplexitäten unserer Signalwelten, die von den großen Unternehmen, die diese bereit stellen, bewusst obskur gehalten werden.

In unserem Projekt kommen diese und andere Ideen zusammen. Das heißt, wir bauen zum Beispiel einfache Prototypen, die uns elektromagnetische Felder spüren lassen. Aber wir entwerfen auch rein narrative Objekte, die uns helfen über Filme, Geschichten einer möglichen Zukunftswelt, in der solche Sinnesfähigkeiten existieren, zu inszenieren. Wir haben für unser Projekt in Basel einen buchstäblichen Raum geschaffen, den wir „Aquarium“ nennen, dieser dient uns als Labor und Installation zugleich. Natürlich wird es auch eine wissenschaftliche Publikation zu dem Projekt geben.

Einen Ausschnitt dieser umfassenden dreijährigen Forschungsarbeit kann man in dieser Ausstellung erleben. Dazu gibt es eine kleine Publikation, die das Projekt in seiner Gesamtheit vorstellt.