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Anregend, kein Aufreger

Im HKW Berlin startete die transmediale im dreißigsten Jahr mit einem gut besuchten Festivalwochenende. „Ever elusive“ („immer ausweichend, schwer fassbar“), das Motto des Medienfestivals könnte zugleich auch als Kritik umformuliert werden. Es gelang dem Festival nicht, die aktuell brisanten Themen der Digitalisierung in den Panels auf den Punkt zu bringen.

Die 30. Ausgabe des Medienkunstfestivals transmediale ist im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gestartet – weitere Veranstaltungen bis 5. März 2017.

Sexy ist sie allemal. Die Berliner transmediale. Einst galt das Festival als ein Treffpunkt für Freaks, Computernerds, technikverliebte Visionäre sowie Bastler. Über die Jahre hinweg erhielten auch immer wieder politisch motivierte Hacker-Aktivisten eine Plattform. Waren es zu Beginn der 90er-Jahre etwa italienische Anti-Globalisierungsgegner, deren Computer nach den Aufständen in Genua konfisziert wurden und in Folge über das harte Vorgehen der Polizei in der Berlusconi-Ära berichteten; kamen zuletzt Twitter-AktivistInnen aus den Krisenherden des gesamten Erdballs zu Wort.

Wer genau diese Atmosphäre im diesjährigen Jubiläumsjahr suchte, der wurde enttäuscht. Vom Flair der einstigen Nischenveranstaltung ist dreißig Jahre nach Entstehung des Medienkunstfestivals nur noch wenig zu spüren. Was der Beliebtheit der transmediale keinesfalls schadet. Im Gegenteil. Turbulent ging es durchaus zu. So ist es für Berlins Hipster offenbar schick geworden, am vereisten Spreeufer entlang bis zum frisch renovierten Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu schlittern. Ein Publikum, das im Schnitt jünger als das Festival selbst ist, strömte am Festivalwochenende (2.2.- 5.02.) in die angebotenen Vorträge, Film- sowie Videovorführungen als auch in die parallel veranstaltete Ausstellung „alien matter“. In kurzer Zeit waren sämtliche Tickets ausverkauft. Da hieß es, sich gedulden und Schlangestehen.

Ein Foto aus der Sonderausstellung „alien matter“. Laut Aussage der Organisatoren ist unter dem Titel eine „vom Menschen gemachte, ihm gleichzeitig radikal fremde, potenziell intelligente Materie“ zu verstehen – das Ergebnis sei eine zunehmende Naturalisierung von technologischen Artefakten, welche als autonome Akteure die zentrale Rolle des Menschen infrage stellen. Zum Beispiel:  Einar Yoldas: Artificial Intelligence for Governance, The Kitty von 2016 – Stubentieger übernehmen alsbald die Weltherrschaft? Das Publikum war sichtlich angetan.

Auf Verjüngungskurs

Kristoffer Gansing ist seit 2012 künstlerischer Leiter des Medienkunstfestivals. Sein Programm, das mit einer glatten Fotoglanzästhetik im Begleitheft beworben wird und aus der Feder des New Yorker Künstlerkollektivs DIS stammen könnte, hat diesen Verjüngungskurs der transmediale ermöglicht.

Jugendlich, frisch und nach wie vor anregend von der Themenauswahl ist die transmediale. Doch eines ist die Veranstaltung 2017 erstaunlicherweise nicht gewesen – kein bisschen aufregend. Obschon sich in den Panels durchaus wissenschaftliche Netzprominenz versammelt hat, bescherten die Vorträge selten tiefgreifende Erkenntnisse. Vielmehr stellte sich der Eindruck ein, viele der vorgestellten Themen wiederholen sich, zirkulieren um sich selbst, ohne, wie gesagt, neue Forschungsergebnisse zu liefern. Statt nach Lösungen zu suchen und in kleineren Runden zu diskutieren, wurde in der Hauptsache referiert – die Mediengeschichte historisch aufgearbeitet, erste Forschungsschritte lediglich skizziert.

Die Tendenz zur Wiederholung und Vereinfachung mag dem vorwiegend jungen Publikum geschult sein oder auch der 30-jährigen Jubiläumsausgabe. Das hat aber zur Folge, dass ausgerechnet der zukunftsweisende Aspekt, welcher dem Medienfestival programmatisch inhärent sein sollte, sowohl in den Panels als auch in der Ausstellung weitgehend fehlte.

Mehr Mitsprache?

Das Problem ist bekannt. So hatte Gansing im Vorfeld der transmediale angekündigt, Abhilfe zu schaffen. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis versprach er, durch das Konzept eines „partizipatorisches Festivals“ schließen zu wollen. „Ein Zusammenspiel unterschiedlicher „Streams“ oder Stränge, die sich um Handeln, Schaffen, Teilen und Sichern drehen“, sollte die 30. Ausgabe laut Gansing werden.

Mit Blick auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, ein viel versprechender Ansatz. Nach dem Wochenende stellte sich nun zunächst Ernüchterung ein – noch ist Gansings Konzept nicht ersichtlich geworden.

Fast könnte man meinen, die Veranstalter hätten mit dieser Kritik von außen gerechnet. So ist das Festival diesmal mit dem Titel „Ever elusive“ überschrieben, was auf Deutsch mit „schwer fassbar“ übersetzt werden kann.

Gewiss: Die Unsichtbarkeit von digitalen Abläufen und die daran geknüpfte Beeinflussung unserer Wahrnehmung – unseres Konsumverhaltens, unserer politischen Meinungsbildung bis hin zur eigenen Körperwahrnehmung – das alles sind, gerade in Anbetracht der jüngsten Ereignisse rund um das Wahlgeschehen in den USA, erschreckende Tatsachen, die es immer wieder aufs Neue ins Bewusstsein der Festivalbesucher zu rücken gilt. Allerdings bleibt die Frage, ob das jetzige Format diese gewichtigen Themen adäquat behandelt, zumal sie ähnlich in den vorangegangenen Jahren im Fokus der Panels und Workshops standen.

Immerhin: Selbst wenn das Festival im 30. Jahr in einigen Punkten schwächelte, bleibt eines doch gewiss – die transmediale wird ein wichtiger Treffpunkt für die internationale Netz-community bleiben und das Format dürfte sich entsprechend fortentwickeln.

Daher am Schluss noch ein Plädoyer: die Vielfalt des Festivals zu erhalten, das heißt: der Videokunst ebenso wie aktuellen Soundarbeiten und den bildenden Künsten an der Schnittstelle zur Technik im HKW zu gleichen Teilen einen Raum zu geben. Dem derzeitigen Hang zur Vereinfachung und zur Verbildlichung von Themen eben nicht nachgeben. Das Publikum stärker mit in die Diskussionen einzubeziehen. Nur so werden sich die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters auf dem Festival abbilden.

Visuell beeindruckend ist der Großteil der Videos, Objekte und Installationen in der Ausstellung. Das kritische Potenzial der insgesamt 30 Arbeiten erschließt sich aber meist erst beim Lesen des Begleitbüchleins.